Alles darzustellen, was seit der ersten Telnet-ähnlichen Sitzung im November 1969 im Bereich Computer-Netzwerke geschehen ist, würde sicherlich den Rahmen eines jeden Buches sprengen. Im folgenden werden wesentliche Meilensteine der Entwicklung dargestellt, die zu dem führten, was heute unter dem Namen Internet als das größte weltumspannende Computernetzwerk bezeichnet wird.
In den späten 60er Jahren begann in den
USA die staatliche Unterstützung von Experimenten zur Vernetzung
von Computern. Die ARPA (Advanced Research Projects Agency),
seit 1972 Defense ARPA (DARPA), die dem amerikanischen
Verteidigungsministerium unterstellt ist, forcierte mit erheblichen
finanziellen und personellen Mitteln die Entwicklung im
Bereich der Computervernetzung. Daß ausgerechnet das
US-Verteidigungsministerium die Initiative ergriff, ist kein Zufall.
Das DoD war stark daran interessiert, über ein Kommunikationsmedium zu verfügen, daß
auch unter ungünstigen Bedingungen die Übertragung von Daten
zuverlässig gewährleistet. Selbst beim Ausfall von Teilen
des Netzes sollte das System funktionsfähig bleiben.
Neben der militärischen Anwendung eröffnete die Vernetzung
von Computern im wissenschaftlichen und immer mehr auch
im kommerziellen Bereich völlig neue Anwendungsmöglichkeiten.
Um bestimmte wissenschaftliche Probleme mit Hilfe von Computern
zu lösen, sind oft Rechner mit sehr großer Rechenleistung und
spezielle Programme erforderlich. Diese Ausstattungen sind teuer
und können nicht für jede Einrichtung einzeln beschafft werden.
Oft hat ein ganzes Land lediglich einen dieser begehrten Computer.
Über ein Rechnernetz ist es nun möglich, jedem Wissenschaftler
von seinem Arbeitsplatz aus jederzeit Zugang zu solchen Großrechnern
zu ermöglichen. Dies ist nur eines von vielen möglichen
Anwendungsbeispielen.
Allgemein ermöglicht die Vernetzung von Computern die
Nutzung aller im Netz vorhandenen Ressourcen (resource sharing).
Unterschiedliche Hardware, Programme, Daten und Peripheriegeräte
können von allen Netzteilnehmern gemeinsam, unabhängig vom
jeweiligen Standort, genutzt werden.
Dementsprechend war das erste Entwicklungsziel der ARPA,
einige wenige an geographisch unterschiedlichen Punkten
verteilte, verschiedenartige Hostrechner miteinander
zu verbinden. Physikalisch wurde das Netz über angemietete
Leitungen mit einer Übertragungsrate von 50 Kbit/s realisert.
Um den diversen Computersystemen Rechnung zu tragen, wurden
eigene kleine Rechner, sog. IMP's (Interface Message Processor),
den jeweiligen Computern vorgeschaltet. Diese gleichartigen
IMP's bildeten, miteinander vernetzt, das eigentliche Netzwerk.
Die Hostrechner kommunizierten miteinander über den ihnen
zugeordneten IMP. Die IMP's ihrerseits waren dabei nur für den
Transport der Nachrichten zwischen den Hosts
verantwortlich .
Die ersten Herausforderungen waren
In den nächsten Jahren mußten die Kommunikationsprotokolle
und Datenverbindungen mit den unterschiedlichen
Hardwarearchitekturen der Hersteller in Einklang
gebracht werden. Der wichtigste Schritt
in diese Richtung war die
Entwicklung des TCP/IP-Protokolls (Transmission Control
Protocol/Internet Protocol), das von den verantwortlichen
Forschern des NCC (Network Control Center)
und des NIC (Network Information Center)
in den Jahren 1973/1974
implementiert wurde. Es sollte bald das bis dahin verwendete NCP
(Network Control Protocol) als Transportprotokoll
ablösen. Mit TCP/IP wurde es möglich, eigenständige Netzwerke so
miteinander zu verbinden, daß jeder Hostrechner eines Netzwerks mit
allen anderen Rechnern des Netzes kommunizieren konnte.
Aufgrund der Architektur sind prinzipiell beliebige
Übertragungsarten möglich. Wenn beispielsweise
Mobilität gefragt ist, können drahtlose Verbindungen genutzt
werden. Für hohe Geschwindigkeiten reichen Kupferkabel nicht aus,
Glasfaserkabel können dann zum Einsatz kommen.
TCP/IP wurde unter den folgenden Prämissen entwickelt:
Erst als das Arpanet bereits einsatzfähig war, begann die ISO
(International Standards Organisation)
mit der Normierung von Netzwerken (ISO/OSI-Modell)
.
Die allgemeinen Erfahrungen bei der
Entwicklung des Arpanet gingen zwar mit in die Normierung ein,
TCP/IP wurde allerdings kein ISO-Standard. Dennoch behauptet
sich TCP/IP bis heute als das Übertragungsprotokoll schlechthin,
auch außerhalb der USA. Der Grund hierfür liegt wiederum in einem
Beschluß der US-Regierung, den Einsatz von offenen Systemen
in staatlichen Organisationen und vom Staat geförderten Projekten
vorzuschreiben. Als offene Betriebssytemumgebung wurde UNIX gefordert.
Die Regierung entschied sich für den Einsatz von Berkeley UNIX
(BSD, Berkeley Software Distribution) und gegen die AT&T
Version, weil sowohl TCP/IP als auch die darauf basierenden Anwendungen
(FTP, Telnet, E-Mail) Teil der des BSD-Betriebssystems waren.
UNIX setzte sich sehr schnell als Betriebssystem
in offenen Umgebungen durch. Damit war der Grundstein für die
Verbreitung von TCP/IP als Übertragungsprotokoll gelegt.
Mitte der 80er begann auch die amerikanische
National Science Foundation (NSF) Interesse am Internet zu zeigen.
Um den Wissenschaftlern aller amerikanischen Universitäten
den Zugang zum Netz zu ermöglichen, gründete sie das
NSFNET.
Um immer mehr Institutionen anzuschließen und einem
immer weiter zunehmenden Verkehr gerecht zu werden, wurde ein System,
basierend auf Backbones (=Rückgrat) realisiert, daß die großen
Rechenzentren miteinander verband. An diese konnten sich andere
eigenständige Campus- und Weitverkehrsnetze (WAN, Wide Areas Networks)
anschließen.
Dieser Backbone trägt heute mit seinen 45 Mbit/s-Anschlüssen
die Hauptlast des Internetverkehrs. Damit übernahm die NSF
immer mehr die Aufgaben des Arpanet, das schließlich Ende 1989
vom Department of Defense
aufgelöst wurde.
Natürlich bestand auch in Europa die Notwendigkeit, den Wissenschaftlern der Universitäten und Forschungseinrichtungen eine schnelle und kostengünstige Kommunikationsinfrastruktur bereitzustellen. Zur europaweiten Koordinierung der Aktivitäten einzelner Länder wurde 1986 RARE (Réseaux Associés pour la Recherche Européenne) gegründet, die zunächst das COSINE-Projekt (Cooperation for an Open Systems Interconnection Networking in Europe) initiierte. Ziel von COSINE war die Bereitstellung einer auf ISO/OSI-Normen basierenden Infrastruktur für den akademischen Bereich innerhalb Europas.
Im Gegensatz zur Entwicklung in den USA sollten in Europa vorwiegend Applikationen, die auf den ISO/OSI-Normen basieren, zum Einsatz kommen. Das wichtigste Ergebnis aus dem COSINE-Projekt war das erste paneuropäische Netzwerk auf X.25-Basis IXI (International X.25 Interconnect), das seit Februar 1993 als EuropaNET, einem Multiprotokoll-Backbone fortgeführt wird.
Trotz aller Fixierung auf OSI-Protokolle konnte sich auch RARE nicht der aus den USA herüberschwappenden Internetwelle verschließen. RIPE (Réseaux IP Européens) übernahm die Koordinierung des Internetverkehrs in Europa. In Analogie zum NSF-Backbone der USA wurde 1992 Ebone, der Europäische Internet-Backbone, in Betrieb genommen, mit allerdings z.T. erheblich geringeren Übertragungsraten als der NSFNET-Backbone.
Internet: Werkzeuge und Dienste von "Archie" bis "World Wide Web" Copyright Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1994